Ich rede mit Kalli, der links von mir sitzt. Rechts neben mir sitzen auf einer Bank aus Paletten Lissa (18) und Anna (16, Name geändert). Daneben steht der 13-järige Fin (Name geändert). Das ganze spielt sich hinter dem Bahnhof Seehausen in der Abendsonne ab.
Wir sitzen dort und unterhalten uns. Plötzlich knallt es und die anderen beginnen zu rennen.
Schreie ertönen, Schüsse zerschneiden die Luft. Etwas erwischt mich am Ellbogen.
Wir rennen, rennen um unser Leben.
Im Augenwinkel sehe ich die Silhouette einer Gestalt, auf dem Bahnsteig. Sie ist in einen weißen Umhang mit spitzer Mütze gehüllt und feuert Schüsse in unsere Richtung ab. Im Nachhinein erinnert sie mich an den Ku-Klux-Klan.
Plötzlich wechselt Kalli die Richtung dem Angreifer hinterher und ich folge ihm, weil ich den Verdacht habe, die Geschosse seien wieder meinem ersten Gedanken nicht tödlich.
Der Angreifer rennt. Kalli auf der Schiene, ich barfuß auf dem Weg parallel dazu ihm hinterher.
Ich habe das Gefühl aufzuholen, rufe Kalli zu, er soll die Polizei rufen. Er versucht ein Foto zu machen, scheitert an der Tastensperre.
Ein dunkelblaues Fluchtauto, von hinten aussehend wie ein Passat wartet mit laufendem Motor auf dem Kiesweg. Ich will das Nummernschild erkennen, schaffe es allerdings nicht nah genug, bevor der Angreifer auf der Beifahrerseite ins Auto springt und mit durchdrehen Reifen eine Staubwolke hinterlassend entwischt.
Habt ihr schon mal Todesangst gefühlt, während ihr vor Schüssen geflohen seid?
Ich kann euch versichern, dass es grausam ist, wie sich diese Kette von gewalttätigen Anschlägen auf den Bahnhof mit diesem jüngsten Vorfall fortsetzt.
Ein zerstörtes Auto, einen Brandanschlag, eine selbst gebaute Rohrbombe, eine Menge körperlicher Angriffe, zwei Einbrüche mit Verwüstung im Bahnhof, diverse Morddrohungen, Hetzjagden mit Flaschenwürfen, Ein Versuch Menschen aus dem Auto zu zerren, und nun dieses Attentat.
Immer noch heißt es in der öffentlichen Debatte nur A14 für und wieder. Doch das ist längst nicht mehr das einzige Thema, welches im und um den Bahnhof präsent ist.
Es geht um wiederkehrende Gewalt, die Leib und Leben von Bürger*innen und Bürgern angreift.
Ich Frage mich ernsthaft, warum die A14-Befürworter*innen, darunter auch viele Bürgermeister*innen aus den Gemeinden ringsherum nicht in den Dialog treten (der von unserer Seite immer Freitags am Bahnhof angeboten wird, u.a. um sich umfassend zu informieren) und sich auch nicht öffentlich gegen diese Gewalt aussprechen.
Ist das die Kommunikationsform, die wir in unserer Gesellschaft etablieren wollen?
Zoltán Schäfer (20)
Mitglied KeineA14
Sprecher der Grünen Jugend Altmark